Verbindend, bereichernd, herausfordernd

05.04.2022 | Redaktion: Gisela Schweiker, Öffentlichkeitsarbeit EJW

„Interkulturelle Jugendarbeit“ ist das Thema der neuen „unter uns“-Ausgabe 1/22

Die soeben erschienene Ausgabe 1/2022 des EJW-Magazins „unter uns“ hat als inhaltlichen Schwerpunkt das Thema „Interkulturelle Jugendarbeit“.

Pfarrer Cornelius Kuttler, der Leiter des EJW, schreibt dazu in seinem Vorwort:

„Es bleibt eine zentrale Herausforderung, wie ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft gelebt werden kann. Die evangelische Jugendarbeit kann hier einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen ein friedliches Miteinander erleben in einer Welt der Gegensätze und Konflikte. Der Schwerpunktartikel ab Seite 6 stellt vor Augen, wie dies konkret geschieht. Es ist eindrücklich, wie durch die interkulturelle Jugendarbeit Begegnungen ermöglicht und junge Menschen ermutigt und gestärkt werden!“

Lesen Sie dazu im Heft:

– „Beziehungen sind der Treibstoff“ – Schwerpunktartikel von Yasin Adigüzel
– Interkulturelle Arbeit auf dem Himmelsfels – Interview mit Steve Ogedegbe und Johannes Weth
– Praxisartikel: „Global local – interkulturelle Begegnung vor Ort“
– Praxisartikel: „Talente entwickeln und Heimat geben“ – HipHop-Café in Herrenberg
– Praxisartikel: Angebote des EJW im Bereich interkulturelle Jugendarbeit

Das Interview mit den Verantwortlichen des „Himmelsfels“ (im Heft S. 10/11) ist im „unter uns“ in gekürzter Form erschienen. Hier können Sie es in voller Länge lesen:

Steve Ogedegbe und Johannes Weth haben zusammen einen Berg geschenkt bekommen. Ein Ehepaar hatte ihn aus Bauschutt in Nordhessen aufgeschüttet, 100.000m² Neuland waren entstanden. Steve, als Pfingstpastor, konnte mit der Idee sofort etwas anfangen und hat von einer großen Kathedrale auf dem Gipfel geträumt – Johannes, evangelischer Pfarrer, musste sich erst mal ein paar Wochen lang mit der Idee anfreunden. Heute gestaltet ein Team um die beiden dort einen Ort, den sie „internationales Territorium“ nennen und der eine Brücke ist zwischen jungen Menschen unterschiedlichster Kulturen. Isabelle Kraft aus dem Team Vielfaltskultur hat mit den beiden gesprochen.

Isabelle: Johannes und Steve, ihr beide füllt einen ganzen Berg, den Himmelsfels, mit Leben.

Könnt ihr beschreiben, worum es euch dabei geht?

Johannes (JW): Die Idee vom Himmelsfels ist, dass er ein Ort wird, an dem die nächste Generation lernt, gemeinsam Kirche und Gemeinde aus allen Nationen zu sein, und junge Leute dazu ermächtigt werden, alte Denkmuster hinter sich zu lassen und es zu wagen, aufeinander zuzugehen. Der Himmelsfels ist einfach ein besonderer Berg, wir nennen das einen „dritten Raum“. Ein Raum, der weder der einen noch der anderen Partei gehört, sondern den wir gemeinsam entdecken und gestalten.

Steve (SO): Wir haben damit angefangen, weil wir einen Graben in der kirchlichen Landschaft zwischen deutschen und internationalen Geschwistern wahrgenommen haben. Der Himmelsfels tritt in diese Lücke. Von Anfang an haben wir interkulturell Leiterschaft gelebt und Internationale Gemeinden einbezogen. Augenhöhe ist dabei unser Fokus.


Wie kam es dazu, dass ihr beide euch gemeinsam darauf eingelassen habt?
Was ist eure Geschichte miteinander?

JW: Ich glaube, für mich war das Entscheidende, dass wir von Anfang an zusammen Gott loben konnten und darin eine große Freiheit gespürt haben. Wir haben gemerkt, diese Freude, die wir miteinander teilen, wenn wir zusammen Musik machen, das ist eigentlich Kirche, nicht die Organisationsformen, aus den wir kommen. Und als wir dann das Gelände geschenkt bekommen haben, hatten wir einen Ort, wo wir diese Freude einfach mit anderen teilen konnten. So schlicht: Es war einfach klar, dass wir zusammen die Berufung haben, das zu machen. Für uns war am Anfang gar nicht das Thema, dass wir „einheimische internationale Migrationskirchen“ oder sonst was vertreten. Es trafen sich zwei Menschen, die gemeinsam ihre Freude an Gott zum Ausdruck bringen können. Und das ist der Anfang von Kirche und Gemeinden.

SO: Also, ich als Pfingstpastor habe große Träume und Visionen. So ist das bei uns (schmunzelt). Und ich wollte sofort eine große Kirche gründen. Ich erinnere mich ganz deutlich, was er sagte, als ich diese Vision mit Johannes geteilt habe, schon bevor wir vom Himmelsfels wussten: „Steve, entspann dich. Gott wird es schon passieren lassen. Vielleicht nicht ganz genauso wie du denkst. Gott will uns als Kirche gebrauchen.“ Ich wollte also ein großes Gebäude bauen und Johannes wollte es ruhig angehen lassen. Das hat mich beunruhigt! Und das nächste, was passierte war, dass uns ein Berg geschenkt wurde. Ich habe mir immer noch eine Kathedrale auf dem Gipfel vorgestellt – aber Gott hat uns für etwas noch Schöneres vorbereitet. Etwas, das weit über das hinausgeht, was wir vorher „Kirche“ nannten.


Ihr habt also gemeinsam einen Berg geschenkt bekommen. Wie passiert einem denn sowas?

JW: Ja, der Himmelsfels ist ein besonderer Berg. Ein Ehepaar hat diesen Berg auf einem alten Kalksteinbruch über 25 Jahre aus Bauschutt aufgebaut, um das Gelände zu renaturieren. Der Bauer ist verstorben und seine Frau war dann mit diesen 100.000 m² Neuland alleine. Damals haben Steve und ich in Krefeld in einem missionarischen Jugendprojekt gearbeitet. Davon hat diese Frau gelesen, uns dort angerufen und gesagt: „Wollt ihr einen Berg für christliche Jugendarbeit geschenkt bekommen?“ Dann haben wir noch ein paar Wochen gebraucht, bis wir kapiert haben: Das ist unsere Chance, einheimische und internationale Jugendliche zusammenzubringen. Dieser Berg aus Neuland, ein Ort, den auch kein Einheimischer je betreten hat, sondern der nur aus deutschem Müll besteht, aber wunderschön ist, diesen Ort wollen wir als eine Brücke nutzen.

SO: Wie schon gesagt, ich konnte mir das gleich von Anfang an vorstellen. Für uns Pfingstler ist das nicht so eine fremde Idee, ein Berg.

JW: Genau, in den Pfingstkirchen gibt es die Tradition, auf Bergen zu beten.

SO: Als Johannes mir also erzählt hat, dass eine Frau uns einen Berg schenken wollte, hatte ich nur eine Frage: Passiert sowas wirklich in Deutschland? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Aber sie war eine Frau des Gebets, eine Frau, die Kontakte in die Mission hat. Dann hat es für mich wieder Sinn ergeben. Damit konnte ich etwas anfangen.


Was begeistert euch an interkultureller Jugendarbeit? Wofür, würdet ihr sagen, lohnt es sich?

SO: Die Vielfalt selbst ist es wert. All die Gaben, die wir in den Menschen entdecken, die vorher eingeschränkt oder zur Seite gedrängt wurden. Durch diese interkulturelle Arbeit können sie aufblühen und einander bereichern. Die Welt wird ein vielfältigerer Ort, wenn wir das zulassen.

JW: Interkulturelle Jugendarbeit ist nicht planbar und nicht machbar. Du kannst den Ausgang deiner Projekte nicht vorab wissen. Es entsteht dabei immer etwas Einzigartiges, Schönes und Verrücktes zwischen den Menschen. Das ist anstrengend, aber man hat auch das Gefühl dabei zu sein, wenn Gott etwas Neues tut.


Wie haben die Begegnungen auf dem Himmelsfels euren Glauben verändert?

JW: Einerseits braucht man einen festen Glauben, um das zu machen. Aber dieser feste Glaube liegt einfach in der Abhängigkeit von Gott, nicht in einem genauen Glaubenswissen. Und gleichzeitig benötigt man einen ganz weiten und offenen Glauben, weil Gott uns durch diese ganzen verschiedenen Jugendlichen seine eigene Vielfalt zeigt. Das ist für mich eine besondere Erfahrung.

SO: Ich habe Gott in der interkulturellen Arbeit auf eine neue Weise gefunden. Sie hat meine Perspektive verändert. Jetzt finde ich Gott in den Menschen. Wenn ich die jungen Menschen sehe, sehe ich Gott und das bereichert mein Leben und motiviert mich jeden Tag, weiterzumachen.


Ihr arbeitet viel mit der sogenannten „zweiten Generation“ auf dem Himmelsfels. Könnt ihr uns erklären, was das ist? Und was braucht sie eurer Erfahrung nach besonders?

SO: Die zweite Generation, das sind eigentlich junge Menschen ohne eine klare Heimat. Ich sage das so, weil wir, die erste Generation, die selbst eingewandert sind, nicht wirklich in dieser Gesellschaft unseren Platz gefunden haben. Und unsere Kinder, die zweite Generation, finden sich deshalb auch in der Peripherie der Gesellschaft wieder. Sie sind dadurch besonders verwundbar. Deshalb geben wir ihnen auf dem Himmelsfels eine neue Basis und sagen ihnen: Lass dich nicht auf deinen Hintergrund reduzieren, gestalte deinen eigenen Lebensraum und Lebenstraum. Wir vertrauen darauf, dass Gott ihnen Begegnungen schenkt, die ihnen helfen, ihren Weg im Leben und zwischen den kulturellen Prägungen zu finden.

JW: Die zweite Generation ist hin und her gerissen zwischen zwei großen Ansprüchen: Sie sollen sich super integrieren, sollen das Beste aus ihrem Leben hier in Deutschland machen, und gleichzeitig sollen sie am besten traditionsverbunden bleiben und mit der kulturellen Heimat der Eltern verwachsen sein. Das ist eine Spannung, die man kaum aushalten kann. Gleichzeitig werden die, die lernen, mit dieser Spannung zu leben, automatisch zu besonderen Brückenbauern in einer vielfältigen Gesellschaft und auch in der Kirche, die ja ebenfalls für jede Generation neu Heimat werden muss.


Was bedeutet diese Interkulturalität für euch geistlich und theologisch?
Was trägt euch in eurer Arbeit?

SO: Interkulturelle Arbeit ist ein Prozess, in dem wir lernen, unsere spezielles kulturelles Vorverständnis abzulegen und die Bibel in einem neuen und gemeinsamen Kontext zu verstehen. Wenn wir in dieser Offenheit zusammenkommen, dann denken wir auch Theologie und Kultur neu. Wir handeln gemeinsam aus, wie wir miteinander leben wollen; auf der Grundlinie der Liebe.

JW: Ich glaube, man unterschätzt, wie sehr das eigene Bild von Gott und auch das eigene Verständnis der Bibel kulturell geprägt sind. Doch in der interkulturellen Begegnung merkt man, wie sehr der Glaube der anderen von deren Kultur geprägt ist – und dann ahnt man, dass es bei einem selbst ähnlich ist. Wir merken dann auch, dass wir das nicht trennen können. Man kann keinen „reinen“ Glauben daraus destillieren ohne kulturelle Prägung. Wir erkennen, dass Gott in genau dieser Vielfalt seiner Welt begriffen, gelebt, verehrt und auch gefunden werden möchte. Wir lernen, eine Vielfalt in Gott anzuerkennen, die einfach wunderschön ist.


Was sind eure wichtigsten Learnings aus 20 Jahren interkultureller Jugendarbeit?

JW:  Erstens: Man überschätzt, was man in einem einzigen Projekt erreichen kann. Und zweitens: Man unterschätzt, was sich aus gemeinsamem Leben entwickeln kann. Interkulturelle Arbeit wird als Projekt kaum funktionieren, sondern braucht das gemeinsame Leben und eine große Verbindlichkeit der Menschen untereinander.

SO: Ich denke, es geht vor allem um Beziehungen. Manchmal frage ich mich „Warum tut Johannes das, warum macht er das jetzt. Weil ich als Afrikaner viele Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht habe, frage ich mich auch, ist da vielleicht sogar Rassismus im Spiel?“ Aber weil ich sein Herz kenne und zwischen uns eine Beziehung ist, weiß ich, wie er die Dinge meint und kann ihn als Bruder sehen und verstehen. Darüber hinaus geht es darum, der Vision treu zu bleiben, die einem geschenkt wurde. Das ist wichtig für eine Arbeit, in der es auch viele Rückschläge und Verletzungen gibt.

JW: Ich will das noch ergänzen: Oft gibt es die falsche Vorstellung, als könnten wir in unserer interkulturellen und christlichen Arbeit Probleme wie rassistische Strukturen, Voreingenommenheit oder überhaupt die Ungerechtigkeiten der Welt hinter uns lassen. Das ist nicht so. Stattdessen können wir es hinter uns lassen, solche Probleme zu ignorieren. Das heißt, wir werden täglich damit konfrontiert, aber wir können es auch aushalten, weil wir gemeinsame Wege darin finden. Weil die Solidarität und das Geschwistersein in Christus am Ende stärker ist als das Vorabbestimmtsein durch solche gesellschaftlichen Abgründe.


Rassismus ist ein Thema, das gerade mehr und mehr weißen Menschen bewusst wird. Spielt es auf dem Himmelsfels eine Rolle und wie geht ihr damit um?

JW: Rassismus spielt auf dem Himmelsfels keine Rolle im Sinne von Programm. Auch Antirassismus ist kein Programm, sondern es ist tatsächlich – geistlich gesprochen – ein Stück Buße für einen Menschen, der immer dachte, auf der richtigen Seite zu sein. Es geht darum, sich einzugestehen: Ich als Weißer bin hier Teil von Schuld. Das ist aber etwas sehr Sensibles und erst, wenn ein Mensch diese Erfahrung macht, auch bei uns, wird er tatsächlich etwas gegen Rassismus unternehmen. Erst, wenn jemand tatsächlich sagt: Wie werde ich da aus meinem Leben, meinem Denken los? Das drängen wir Kindern und Jugendlichen und auch nicht Pfarrerinnen und Pfarrern und Jugendleitenden, nicht auf. Aber wer sich einlässt auf reale Beziehungen, der kommt um diese Erfahrung nicht herum. Wahrscheinlich werden wir auch noch in 50 Jahren noch mit Rassismus konfrontiert sein. Also sollten dankbar sein für jeden Ort, wo wir es bewusst abarbeiten und ausschließen können.

SO: Ja, dem stimme ich zu.


Auf welche Hindernisse muss man sich einstellen, wenn man sich auf den Weg macht und Jugendarbeit interkulturell gestalten und leben will?

SO: Es gibt gewisse strukturelle Widerstände. Die Jugendlichen selber sind nicht das Problem – aber es gibt Strukturen, die eine gewisse Öffnung verhindern. Manchmal wissen wir so wenig übereinander, es gibt keine authentische Information über unsere Nächsten. Das hindert auch junge Menschen daran, aufeinander zuzugehen, bis sie merken, wie die anderen wirklich sind.

JW: Also, ich würde mich gar nicht auf Schwierigkeiten einstellen, sondern mich ganz auf diese positive Erfahrung darin einlassen und sagen, die ist mir heiliger als die Schwierigkeiten, die kommen. Und eine große Herausforderung auf dem Weg wird dann sein, die Strukturen tatsächlich so zu gestalten, dass sie dem Inhalt entsprechen. Also interkulturell gemeinsam Leitung und Verantwortung zu teilen.


Wie kann man das, wovon ihr jetzt vom Himmelsfels erzählt habt, miterleben?

JW: 1. Kommt mit eurer Jugendgruppe oder -freizeit zu uns. Wir werden gemeinsam ein Team und eure Jugendlichen Teil der weltweiten Gemeinschaft, die man auf dem Himmelsfels erfahren kann.

2. Kommt zum International Youth Summer Camp im August oder auch zum One-Spirit-Camp an Himmelfahrt.

3. Wir möchten gerne mit dem EJW Schulungen für interkulturelle Arbeit entwickeln und euch darin Erfahrungen weitergeben. Wir freuen uns darauf, mit euch die Dinge neu zu sehen und zu reflektieren.


Gibt es noch irgendwas, was ihr gerne sagen würdet?

SO: Ich würde gern eine Frage stellen: Wann fängt die Veränderung bei euch im EJW an?

JW: Ja, diese Frage haben wir an euch. Wir glauben, es ist an der Zeit, dass es nicht eine Idee ist, sondern ihr auch spürt, da kann und darf und muss sich sogar etwas ändern. Wir wollen nicht nur eine bestimmte Sparte von Gesellschaft, eine bestimmte Hautfarbe, eine bestimmte Herkunft abbilden, sondern wir verstehen uns als der Ort, der jungen Menschen Hoffnung gibt. Menschen, die wie die 2. Generation zwischen globalen Verschiebungen stehen, sind die, mit denen wir Zukunft gestalten wollen und von denen wir viel erwarten können. Die aber auch besonders uns als Jugendarbeit brauchen, damit wir sie stärken. Bitte sorgt dafür, dass es beginnt, dass es losgeht. Wir danken jedem, der sich auf den Weg macht.


Weitere Informationen:

» www.himmelsfels.de

Infos und Anmeldung zum International Youth Summer Camp
» www.ejw-reisen.de/30084

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