Mit dem „Demografischen Wandel“ werden formale Veränderungen im (Alters-) Aufbau unserer Gesellschaft beschrieben. Dem Rückgang an Geburten steht eine stetig ansteigende Lebenserwartung gegenüber. Besonders betroffen von diesen Entwicklungen sind die ländlichen Räume. Die fortschreitende Überalterung ist eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft, nicht nur für kommunale Entwicklungen (Kindertagesstätten, Schulen usw.), Industrie und Wirtschaft oder die sozialen Sicherungssysteme (z. B. Gesundheitswesen), sondern auch für Vereine, Kirchengemeinden und Jugendverbände. Deren Zukunftsfähigkeit wird deutlich davon abhängen, wie auf die demografischen Veränderungen reagiert wird. Die Kirchen trifft der demografische Wandel „doppelt“: Die Zahl der konfessionell gebundenen Kinder und Jugendlichen (ev. und kath.) wird überproportional stark abnehmen. Der Anteil derer mit Migrationshintergrund, Zugehörigkeit zu anderen Religionen und ohne konfessionelle Bindung wird vor allem in Städten überproportional stark zunehmen. Hinzu kommt eine ausgeprägte Ausdünnung des ländlichen Raumes – der Trend geht deutlich zum Wohnen und Leben in der Stadt. Als kurze Formel für die demografische Entwicklung gilt: „Wir werden älter, weniger, bunter.“
Wenn Verantwortliche aus der evangelischen Jugendarbeit über die demografische Entwicklung nachdenken, gilt: Jeder Mensch ist Gottes wunderbares und einzigartiges Geschöpf. Das macht das Leben jedes Einzelnen kostbar und wertvoll. Der Wert eines Menschen darf sich nicht in seiner Bedeutung für den Erhalt des Sozialstaates, des Wirtschaftssystems oder der Kirche begründen. Wer sich um die Zukunft evangelischer Jugendarbeit sorgt, stellt den Einzelnen mit seiner Würde in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Es geht - um Gottes Willen - um den Menschen an sich, nicht um seine Funktion. Zusammengefasst kann man sagen: Es gilt Subjektorientierung statt Funktionalisierung.
Bevölkerungsprognosen sind Vorausberechnungen und immer auch relativ. Bezüglich der prognostizierten Altersstrukturen sind sie sehr zuverlässig, Wanderbewegungen sind hingegen schwer vorhersehbar. Derzeit ist deutlich zu erkennen, dass verstärkt junge Erwachsene aus ländlichen Räumen abwandern. Die Entwicklung kann jedoch von Ort zu Ort sehr unterschiedlich ausfallen. Ländliche Räume sind ebenso wenig einheitlich wie Städte. Dieser Ungleichheit tragen die Bezeichnungen „ländliche Räume“ statt „ländlicher Raum“ und „städtische Räume“ anstelle von „Stadt“ Rechnung. Grundlegend ist deshalb, um für die eigene Umgebung (Dorf, Stadt, Kirchenbezirk etc.) zukunftsweisend planen zu können, eine genaue Situationsanalyse. Neben Bevölkerungsstruktur und –entwicklung sind hierbei im Besonderen Infrastruktur und jugendkulturell relevante Faktoren zu berücksichtigen
Ehrenamtliches Engagement ist für Jugendarbeit unverzichtbar. Dennoch werden durch die Veränderungen in den Bereichen Schule (Ganztagsschule, G8), Studium (Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge) und Arbeitswelt sowie aufgrund der weniger werdenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen die zeitlichen Ressourcen für (regelmäßiges) ehrenamtliches Engagement weiter abnehmen. Evangelische Jugendarbeit muss deshalb bisherige Strukturen überdenken und Angebote entwickeln, die auch zeitlich befristetes und begrenztes Engagement ermöglichen und bei denen Aufwand und Ergebnis in einem guten Verhältnis stehen. Die ausreichende Ausstattung mit Hauptamtlichen ist unerlässlich um Qualität undFachkompetenz in der Jugendarbeit zu erhalten und für verbindliche Partnerschaften die notwendige Kontinuität und Verlässlichkeit zu gewähren. Jugendarbeit kostet Geld. Außerschulische Jugendbildung gibt es nicht zum Nulltarif. Im kommunalen Bereich wird die Jugendarbeit nur wenig gefördert (besonders in ländlichen Räumen). Das ist weder sinnvoll noch nachhaltig. Und auch im Bereich kirchlicher Jugendarbeit gilt: Es braucht nicht nur eine Dynamisierung der derzeitigen personellen Ausstattung (gleichbleibende Stellenzahl bei rückgängiger Kinderzahl), sondern vielmehr eine Entwicklung hin zu besserer personeller Ausstattung. Ergänzend gilt es neue Formen eines erweiterten Ehrenamtes (Freiwilligendienste, Aufwandsentschädigungen etc.) noch stärker zu berücksichtigen.
Arbeitsplätze, schnelles Internet, ganztägige Kinderbetreuung und eine gute Nahversorgung sind wichtige Faktoren, um die Attraktivität eines Standortes zu stärken. Wir machen zwar vor allem Jugendarbeit weil uns junge Menschen wichtig sind. Aber für Kommunalpolitik, Schulen und Wirtschaft gilt es wahrzunehmen, dass Jugendarbeit sowohl im Bildungsbereich als auch hinsichtlich ihrer verlässlichen und qualitativ hochwertigen Freizeitangebote zum Standortvorteil werden kann. Hinzu kommen Potentiale und Leistungen der Jugendarbeit hinsichtlich Beteiligung, Kultur, Integration, Solidarität und Sicherheit. Das gilt es selbstbewusst zu kommunizieren. Wir können nur auf Unterstützung zählen, wenn wir unsere Kompetenzen, Erfahrungen und Potentiale auch benennen. Stärken der Jugendarbeit hervorzuheben steht weder im Widerspruch zur Wertschätzung des Einzelnen noch sehen wir hier die Gefahr einer Verzweckung von Jugendarbeit.
Für Kinder- und Jugendarbeit wird sich in ländlichen Räumen die Abhängigkeit von ÖPNV und Zubringerdiensten noch verschärfen, weil Kinder- und Jugendgruppen nicht mehr in jedem Ort durchführbar sein werden. Um Angebote der Jugendarbeit erreichbar zu halten, ist es notwendig, in Ferienzeiten und über die täglichen Schulzeiten hinaus ein funktionierendes ÖPNV-Netz vorzuhalten oder alternative Fahrdienste anzubieten. Letztere (z.B. „Taxi Mama“, aber auch andere) werden in ihrer Bedeutung weiter zunehmen. Entscheidend ist letztlich jedoch die Mobilität in den Köpfen: Ortsgrenzen dürfen nicht länger die Jugendarbeit gedanklich begrenzen. Wege von der Stadt aufs Land sollten genauso selbstverständlich sein wie in die entgegengesetzte Richtung. Ebenso muss Jugendarbeit dort auftauchen, wo junge Menschen sind.
Kinder und Jugendliche sind vollwertige Kirchenmitglieder, die ernstgenommen werden müssen. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist Kirche hier und heute, nicht Kirche für die Zukunft. Wer Jugendarbeit nur im Systemerhalt denkt, nimmt den Auftrag Jesu nicht ernst. Seine Zuwendung galt dem Einzelnen, jung oder alt, gleichermaßen und gleichberechtigt.
In einigen Stadtteilen in Baden-Württemberg gehören bereits bis zu 70 % der unter 15-Jährigen keiner Kirche an. Wie sprachfähig sind wir – gerade angesichts der vorherrschenden religiösen Vielfalt? Welches inhaltliche Profil bringt die evangelische Jugendarbeit in Kooperationen ein? Welche Rolle nehmen wir in sogenannten regionalen Bildungslandschaften ein? Gerade weil sich evangelische Jugendarbeit in ihrem Verkündigungsauftrag begründet, ist es erforderlich, dass in der Aus- und Fortbildung ehren- und hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Sprachfähigkeit über den christlichen Glauben gefördert wird. In einer sich rasant wandelnden Gesellschaft ist sich evangelische Jugendarbeit ihrer Verantwortung für die Verkündigung bewusst.
Es ist ein besonderer Reichtum, dass die Kirche im Dorf geblieben ist. Dennoch darf die Fokussierung auf den eigenen Kirchturm nicht alle Kraft und Konzentration binden. Nicht jedes Angebot kann vor Ort aufrecht erhalten werden. Es ist über Vernetzung und Kooperation über die Kirchengemeinde hinaus nachzudenken. Dabei sind sowohl traditionell gewachsene Gemeindebeziehungen, gewohnte Wege (Schulort / Einkaufsort) als auch jugendrelevante Verknüpfungen zu bedenken.
Bisherige Stärken und Erfahrungen in der Freizeit-, Gruppen- und Projektarbeit bieten beste Anhaltspunkte zur Entwicklung neuer Formen und Angebote.